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BLK-Programm - Demokratie lernen & leben: Umsetzung des hessischen Mediationskonzepts in der Schule

Materialien

Mediation und demokratische Schulkultur

Umsetzung des hessischen Mediationskonzepts in der Schule

Das hessische Projekt „Mediation und Schulprogramm“ beruht auf einem systemischen Ansatz und nutzt dabei das von Kurt Faller entwickelte Hexagon. (Faller, Kurt, Das pädagogische Hexagon, in: Philipp/Rademacher, Konfliktmanagement im Kollegium)

Ausgangspunkt ist dabei zunächst die Einsicht, dass ein Handlungsbedarf innerhalb der Schule besteht. Dabei gilt es auf unterschiedlichen Ebenen (= die sechs Seiten des Hexagons) zu handeln.

Bei der Intervention stellt sich die Frage, welche Konflikte es gibt, wie damit bisher umgegangen wird und welche Interventionen sinnvollerweise erfolgen sollten. Dabei wird auch die Frage berührt, welche Gruppen (z.B. Schüler-Mediatoren, Buddys) eingerichtet werden sollten.

Beim Punkt Prävention geht es darum, Programme in den Klassen zu installieren, die zu einer Verbesserung des Klassenklimas beitragen.
 
Vorhandene soziale Kompetenzen sollten genutzt und weiter entwickelt werden. Sie sind wichtig als grundlegende Basis in jedem Unterricht.

Die Schlüsselpersonen sind die Lehrkräfte und die Schulleitung. Sie müssen zunächst durch Basistrainings entsprechend qualifiziert werden, damit sie später mit der entsprechenden Haltung die Klassenprogramme (s. Prävention) in der Praxis umsetzen können.

Die Unterstützungssysteme (Jugendhilfe, Schulsozialarbeit, ggf. Polizei) können diesen Prozess begleiten oder ggf. Ressourcen bereitstellen.

Die Implementierung der Programme erfolgt in der Schule durch die Verankerung im Schulprogramm.
Das pädagogische Hexagon ist sowohl ein Instrument der Evaluation wie auch der Planung.

In Hessen setzt das Mediationsprogramm zunächst bei den Lehrkräften an. Da sie die Schlüsselpersonen bei der Einführung und Umsetzung des Mediationskonzepts sind, kommt es zunächst darauf an, sie für den Mediationsgedanken zu gewinnen. Der erste Schritt ist zunächst, dass das gesamte Lehrerkollegium seine Zustimmung zu dem Vorhaben gibt und einen entsprechenden Beschluss herbeiführt. Dann kommt es darauf an, eine möglichst große Gruppe von Lehrkräften mit den Grundgedanken der Mediation näher vertraut zu machen. Dies erfolgt mittels eines ca. 30-stündigen Basistrainings, an dem mindestens 10 Lehrkräfte einer Schule teilnehmen mit dem Ziel, mindestens 25% des Kollegiums zu erreichen. In der Regel finanzieren die Lehrkräfte das Training selbst. Auch werden die Eltern und die Schülervertretung über das Vorhaben informiert, um hier eine möglichst frühe Akzeptanz zu schaffen.

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Das Gesamtprogramm lässt sich in umseitigem Schaubild darstellen. Zunächst einmal dient ein Basistraining dazu, einen Einblick in die Grundhaltung und die Techniken der Mediation zu erhalten. Es ist zwar ein erster Baustein, um als Lehrkraft Schulmediator zu werden, aber nach dem Training beherrschen die Beteiligten noch nicht die Mediationstechnik. Inhalte des Basistrainings sind Kommunikationstechniken, Analyse von Konflikten, Eskalationsgrade von Konflikten, Formen der Konfliktbearbeitung, Mediation, Kollegiale Fallberatung und Analyse der spezifischen Schulsituation im Hinblick auf die Implementierung von Mediation. Die Einübung der Mediationshaltung erfolgt im Training hauptsächlich durch Rollenspiele.

Nachdem so ein grundlegendes Verständnis im Kollegium geschaffen worden ist, ist das nächste Ziel die Mediationsgrundhaltung zu einem Teil der Kultur in der Schulklasse zu machen. Die Konflikte als solche sind dabei nicht das Problem, sondern die Art wie sie gelöst werden. Ziel ist es dabei, dass möglichst alle Schüler/innen entsprechend der Mediationshaltung ihre Konflikte austragen. Um dies zu erreichen werden bestimmte Techniken wie „nicht-verletzende Ärgermitteilung“, Prinzipien des aktiven Zuhörens (zunächst wiederholen, was ich gehört habe) und die Fähigkeit der Perspektivenübernahme vermittelt. Diese Umsetzung erfolgt in Hessen im Rahmen von Klassenprogrammen (Eingangs- und Sensibilisierungsprogramm für die Klassenstufen 5/6 bzw. 7/8; vgl. Altenburg 2005, Kaletsch 2003), zu deren Vermittlungsvoraussetzung ein Basistraining für Lehrkräfte gehört. Die Lehrkräfte nehmen dann im Laufe der zwei Jahre an einer 36 Stunden umfassenden Fortbildung teil.

Alle Klassenprogramme zielen auf den regulären Unterricht ab und zwar in dem Sinne, konflikthafte Situationen, bei denen es – sei es zwischen Schülern und Schülern oder zwischen Schülern und Lehrkräften – um die Aushandlung von Interessen geht, in einem konstruktiven Sinne zu meistern. Der Klassenrat ist dabei eine wichtige Einrichtung, bei der diese Aushandlungsprozesse unter den Schülern ermöglicht werden. Ziel ist es letztendlich, alle Ebenen der Schule zu erreichen.

Das Eingangsprogramm (EP) ist ein auf zwei Jahre angelegtes, sowohl präventiv als auch problemorientiert wirkendes Trainingskonzept im Umfang von ca. 60 Stunden, mit dem Klassenlehrer Fünft- und Sechstklässlern helfen können, zu einer Klassengemeinschaft zusammen zu wachsen. Die Klasse lernt ihre Konflikte konstruktiv zu lösen und dadurch kann sie zunehmend produktiver lernen und arbeiten. Die im EP zusammengestellten Übungen geben Klassenlehrern Methoden an die Hand, wie sie den Schülern einen eigenverantwortlichen, selbstbestimmten und konstruktiven Umgang mit Konflikten vermitteln können.

Mit zumeist spielerischen Übungen lernen Jungen und Mädchen in den ersten beiden Klassen der weiterführenden Schule einen respektvollen Umgang miteinander. Die Schüler lernen Gemeinsamkeiten zu schätzen und Unterschiede auszuhalten. Sie entdecken ihre eigenen, aber auch die Gefühlswelten ihrer Mitschüler und entwickeln somit wachsende Empathiefähigkeiten und Lösungskompetenzen.

Das EP ist ein gutes Beispiel für das Zusammenspiel von Mediation und Partizipation. Aufbauend auf dem EP wird in den 7. und 8. Klassen das Sensibilisierungsprogramm (vgl. Altenburg 2005) durchgeführt. Es unterstützt die Schüler bei ihren sozialen Lernprozessen in der Pubertät. Erst wenn diese Klassenprogramme in den entsprechenden Klassenstufen möglichst vollständig implementiert sind, werden in einem Teil der hessischen Projektschulen SchülerInnen zu Peer-MediatorInnen ausgebildet. Sie vermitteln dann in Konflikten zwischen meist jüngeren SchülerInnen.

Die Peer-Mediatoren werden in der Regel durch die oben erwähnten Schulmediatoren in einer Arbeitsgemeinschaft (z.B.  im Rahmen von Wahlpflichtunterricht) ausgebildet. Das Schülertraining umfasst mindestens 40 Stunden. Als günstig hat es sich erwiesen, wenn der erste Ausbildungsteil im Blockunterricht z.B. an einem Wochenende oder während einer Projektwoche erfolgt. Danach gibt es wöchentliche Treffen nach dem Unterricht, in denen die Ausbildung abgeschlossen wird und in dem ggf. später die Schüler weiter begleitet und gecoacht werden. Die Mediationen, die die Schüler durchführen, finden meist während der großen Pausen statt, bei zeitlich umfangreicheren Fällen zu einem extra vereinbarten Termin. Es hat sich als wichtig herausgestellt, dass die Schüler dafür einen extra Raum zur Verfügung gestellt bekommen.

Wenn Schüler zwischen Schülern (also Gleichaltrige bzw. etwas ältere Schüler) in Konflikten vermitteln, dann sprechen wir von Peer-Mediation. Dieser Gedanke kommt von der Peer-Group-Education (PGE), die in angelsächsischen Ländern sehr weit verbreitet ist. Die Erfahrung zeigt, dass Schüler von Gleichaltrigen bzw. etwas Älteren sehr nachhaltig etwas lernen können. Die Schülerin, die vermittelt, lernt dabei auch sehr viel. In einigen Schulen übernehmen ausgebildete Schüler-Mediatoren gemeinsam mit den Lehrkräften die Ausbildungsfunktion für die jüngeren Schüler-Mediatoren. Peer-Education ist eine sehr gute Form der Partizipation von Schülern am Lernen und Leben in der Schule.

Mediation ist ein Verfahren, das Freiwilligkeit voraussetzt. Diese Freiwilligkeit wird in der Schule in Reinkultur meist nicht gewährleistet, denn häufiger werden Schüler durch Lehrkräfte zur Mediation geschickt. Wenn Peer-Mediation in der Schule gut  etabliert ist, sollte das Prinzip der Freiwilligkeit grundsätzlich gelten. Dies wird sich auch ergeben,  wenn die Schüler den positiven Wert der Mediation erfahren haben. Auch wenn Schüler geschickt werden, müssen die Schüler-Mediatoren erfragen, ob sie bereit sind, sich auf das Verfahren einzulassen. Sie werden dabei die Vertraulichkeit des Verfahrens betonen, d.h. der Inhalt der Mediation wird den Lehrkräften nicht mitgeteilt, in Einzelfällen mit Zustimmung aller Beteiligten ggf. das Ergebnis. Mediationsfälle bei denen Erwachsene beteiligt sind bzw. die zu sehr eskaliert sind, werden in der Regel nicht von Schülern bearbeitet, sondern durch die Schulmediatoren bzw. mit deren direkter Unterstützung.

Die Umsetzung von Mediation in der Schule umfasst also einen Prozess, bei dem Erwachsene sowie Kinder und Jugendliche das Verfahren vermittelt bekommen und diese Verfahrensweisen im Rollenspiel einüben, um sie praktisch anwenden zu können. Die Umsetzung von Mediation ist schließlich nicht das Projekt Einzelner, sondern – wenn es tatsächlich zu einer Veränderung von Konfliktkultur führen soll – eine Aufgabe, der sich ganze Systeme stellen müssen, d.h. in die alle Beteiligten einer Schule (Schulleiter, Lehrkräfte, Schulsozialarbeiter, Eltern und Schüler) einbezogen sein müssen. Das beginnt mit dem gemeinsamen Beschluss im Kollegium und in der Schulkonferenz (also mit Eltern und Schülern) und bedeutet eine ständige Information der Schulgemeinde über die Entwicklung des Vorhabens und die Einrichtung einer Projektgruppe, die sich mit den Umsetzungsfragen beschäftigt.

Wird Mediation in der Schule konsequent umgesetzt, so verändert sich das Schulklima, insbesondere die Konfliktkultur, und es wird ein wesentlicher Beitrag zur Gewaltprävention geleistet. Es setzt allerdings voraus, dass dieses Konzept von möglichst allen Lehrkräften mitgetragen wird. Peer-Mediation bedeutet nämlich auch einen Machtverlust für die Lehrkräfte und das wird nicht unbedingt von allen gewollt. Halbherzig umgesetzte Konzepte können jedoch dazu führen, dass in der Schule Lehrkräfte sehr unterschiedlich mit Konflikten umgehen und dies dann zu Widersprüchen führt, die in der Folge wieder neue Konflikte verursachen. Auch kann es bedeuten, dass der Mediationsgedanke diskreditiert wird, indem die Lehrer, die das Verfahren ablehnen, ihm die Wirkung absprechen und Schüler nicht auf Peer-Mediation hinweisen bzw. sogar davon abraten – mit der Folge, dass die Schüler-Mediatoren keine Mediationsfälle bekommen und ihre Arbeit in Frage gestellt sehen.  

Bei der erfolgreichen Implementierung von Mediation in der Schule handelt es sich um einen relativ komplexen Prozess, der vollständig nur mittelfristig in einem Zeitraum von fünf bis acht Jahren realisiert werden kann. Die Unterstützung durch externe Berater hat sich dabei als sehr hilfreich, teilweise als unverzichtbar erwiesen. Ein erfolgreich etabliertes Mediationssystem in Schule ist eine gute Voraussetzung, um andere Aspekte (Klassenrat, SV-Arbeit, Service lernen), die der Entwicklung einer demokratischen Schulkultur dienen, zu etablieren. Diese können auf Kompetenzen der Mediation (Perspektivenwechsel, aktives Zuhören) zurückgreifen.